Malte Giesens „Frame“

Die Musiker betreten die Bühne, wie sie es bei Konzerten gewohnt sind. Da dies den Erwartungen an ein Musiktheater aber nicht entspricht, meldet sich der Komponist aus dem Off. Er verlangt einen anderen Auftritt, „ein bisschen gespenstisch“ mit schattenhaften Gestalten, düsterer Beleuchtung, Nebelwerfer und schaurigen Klängen. Doch auch diese Variante findet keinen Gefallen. Das Stück muss noch ein drittes Mal beginnen, nun als grelles Showcase mit groovigen Diskoeffekten und Starallüren. Stück und Aufführung werden so von vornherein als Möglichkeitsfelder gekennzeichnet, in de­­nen sich Komponist und Interpreten nach Belieben bewegen, ohne sich für eine bestimmte Lösung oder Stilistik entscheiden zu müssen. Die postmoderne Verfügbarkeit von Materialien, Techniken und Genres hat sich im Digitalzeitalter potenziert: Alles ist möglich, nichts ist nötig. Malte Giesens „Frame“ bringt das Dilemma des Anything goes auf den Punkt. Die Uraufführung dieses Musiktheaterwerks erwies sich bei Eclat als eine der bemerkenswertesten Produktionen, nicht, weil es besonders gelungen gewesen wäre, sondern weil es paradigmatisch die Rahmenbedingungen und Pro­bleme der Generation der Digital Natives thematisiert.

Der 1988 in Tübingen geborene, in Stuttgart und Berlin ausgebildete Komponist stellte dem Ganzen den Prolog eines Schauspielers voran, der in der Rolle des Komponisten darüber räsoniert, dass Musiktheater immer über sich selbst nachdenke und also selbstreflexiv sei, weshalb das Stück mit der sonoren Stimme eines Schauspielers beginnen solle, der „wie Gott“ so tut, als sei er der Komponist. Ankündigung und Aufführung des Sprech­texts fielen so in Echtzeit zusammen. Selbstreferentiell ist auch die Option, das Stück als Operette zu gestalten, mit den Neuen Vocalsolisten in verteilten Rollen als Komponist Malte Giesen, als Regisseur Thomas Fiedler und unter Perücke als Festivalleiterin Christine Fischer mit rot wallendem Intendantinnenschal. Das Libretto besteht im Folgenden aus real gewechselten Emails der Akteure, die sich über das Konzept des Stücks und Förderanträge austauschen und deren schwierige Terminfindung sich im Durcheinander eines quirligen Terzetts verliert. „Frame“ gehört zur Gattung sich selbst moderierender Stücke, wie man sie schon von Johannes Kreidler, Trond Reinholdtsen, Simon Steen-Andersen und Alexander Schubert kennt oder noch weiter zurückliegend aus dem absurden Theater, Max Frischs „Biographie: Ein Spiel“ (1967), Dieter Schnebels „Glossolalie 1961“ oder Ludwig Tiecks frühromantischer Komödie „Der gestiefelte Kater“ (1797).

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