Location: Köln
Streben nach Fortschritt
Der Begriff Tunnelblick fasst die Essenz des Stücks zusammen – ein Kommentar zum unerbittlichen Streben der Menschheit nach Fortschritt, oft mit einem unerschütterlichen Fokus auf ein einziges Ziel. Die Musik dient als klangliche Erkundung des Zusammenspiels zwischen menschlichen Emotionen und dem fortschreitenden Bereich der künstlichen Intelligenz.
Turing-Test
Der Turing-Test, ein Maßstab für die Bewertung der maschinellen Intelligenz durch die Beurteilung ihrer Fähigkeit, menschliches Verhalten zu imitieren, steht im Mittelpunkt, während die Musiker selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden.
Herzschlag des Fortschritts
Die Musik entfaltet sich in einer dynamischen Verschmelzung von elektronischen und instrumentalen Elementen und spiegelt die sich entwickelnde Beziehung zwischen Mensch und künstlichen Wesen. Der rhythmische Puls der Komposition symbolisiert den Herzschlag des Fortschritts, der mit unnachgiebiger Entschlossenheit vorwärts drängt.
KI-generierte Visuals
Das wiederkehrende Motiv von Tunnelblick ist eine klangliche Darstellung des Tunnelblicks der Menschheit – sie sieht nur ein Ziel, ist auf den Weg fixiert und treibt die Entwicklung voran, ohne sich Gedanken über die weiteren Auswirkungen zu machen. Die Integration von KI-generierten Visuals zementiert das Gesamterlebnis. Diese Bilder dienen als visuelle Metapher für das Thema Tunnelblick und zeigen eine Welt, die durch die enge Öffnung des Fortschritts gesehen wird.
Synergie von Musik und KI
Die Synergie von Musik und KI-generierten Bildern schafft eine immersive Umgebung, die Vorurteile hinterfragt und zum Nachdenken über die Folgen unseres unerbittlichen Strebens nach Fortschritt einlädt. In Tunnelblick wird das Publikum nicht nur mit Fragen über das Wesen der Empathie im digitalen Zeitalter konfrontiert, sondern auch dazu aufgefordert, die Auswirkungen des unaufhaltsamen Fortschritts zu überdenken.
Bessere Zukunft?
Das Stück lädt uns ein, innezuhalten, unsere Perspektive zu erweitern und uns zu fragen, ob unser kollektives Streben nach Entwicklung uns in eine bessere Zukunft führt oder ob wir Gefahr laufen, die vielfältigen Landschaften aus den Augen zu verlieren, die jenseits des Tunnelblicks des Fortschritts liegen.
Lecture on Nothing
„Er redet 40 Minuten am Stück und hat dabei nichts zu sagen“ ist kein zynischer Kommentar unter dem Video eines x-beliebigen Youtubers, sondern die Selbsteinschätzung von John Cage in seiner „Lecture on Nothing“.
Stille und Nichts
Nichts könnte in unser reizüberfluteten Welt heilsamer sein als Nichts. Stille. Doch um diese wahrnehmen zu können, braucht es als Rahmen Worte. Worte, mit denen John Cage individuelle Antworten auf Fragen eines Komponisten Ende der 1950er Jahre gibt.
Leere Worte
Worte, vorgetragen von den Musiker*innen von electronic ID und von Passanten am Rheinufer, denen ChatGPT in zufälliger Reihenfolge die kleinen Abschnitte aus Cages „mikro-makrokosmischer rhythmischer Struktur“ zugeordnet hat. Worte, die sich im Kreis drehen, die ihre eigene Aussage unterwandern und auf diese Weise zu Nichts führen.
Nothing in Social Media
John Cages Lecture on Nothing entstand in einer Zeit ohne Internet und Social Media. Dennoch liest sie sich erstaunlich kritisch mit Blick auf moderne Medien. Wir laden dazu ein, die für Instagram aufbereitete Inszenierung anzusehen:
Künstliche Intelligenz als Bindeglied
In den vergangenen Jahren ist die Realisation traditioneller Konzertformate nicht einfach gewesen. Für eID wurden die Umstände zur Chance und unsere ohnehin ständig stattfindende Suche nach neuen Konzert- und Aufführungsformaten rückte in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Wir suchten nach einem diskursiven Bindeglied plattformübergreifender Online-Konzerte.
Neue Präsentationsformen in Online-Formaten
Wir wollten eine neue und bisher nicht dagewesene Verbindung zwischen Zeitgenössischer Musik und Zuschauer*innen im digitalen Raum schaffen. Diese Verbindung sollte gleichzeitig die Einladung an das Publikum sein, selbst aktiv zu werden. So soll die Einbahnstraße digitaler Kommunikation und Vermittlung aufgelöst werden. Doch wie schafft man so eine Verbindung und wie bewahrt man ein Online-Projekt davor, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden?
“Künstliche Intelligenz ist die neue Elektrizität.”
Andrew Ng, Mitbegründer von Google Brain
Kreative Verbindungen von eID und KI
Der KI-Synthesizer macht es möglich, den Content von eID kreativ mit und durch diverse KI-Module zu verbinden. Das Material kann so z.B. durch Motion-Tracking gesteuert und generative KI-Outputs erforscht werden.
Die generativen Outputs entstammen neuronalen Netzen, die mit dem eID-Content der letzten Jahre trainiert wurden.
KI-Agency Birds on Mars und Webentwickler Quandelstaudt
Mit den Birds on Mars haben wir starke Partner gefunden, die unsere Vision eines Content übergreifenden KI-Konzepts realisieren konnten. Quandelstaudt hat den Code auf unsere Website gebracht und so neben der Gestaltung auch die Programmierung im Frontend übernommen.
„Künstliche Intelligenz wird unsere Vorstellungskraft erweitern, aber sie wird auch unsere Definition von Kreativität in Frage stellen.“
Grayson Perry, britischer Künstler
Framework und Open Source
Bei der Entwicklung des KI-Synthesizers wurde Wert auf ein offenes Framework gelegt, das sich problemlos mit neuen Modulen erweitern lässt. Geplant ist mittelfristig, dass der Synthesizer als Open-Source-Projekt zur Verfügung gestellt wird, in der Hoffnung, dass wir auch weiterhin starke Partner*innen finden, mit denen wir die Idee weiter vorwärts bringen können.
Durch die Möglichkeit, stets neue Module einzubauen, sind die künstlerischen Möglichkeiten beinahe grenzenlos.
„Künstliche Intelligenz ist eine der großen kulturellen Herausforderungen unserer Zeit und es ist wichtig, dass wir uns bewusst mit ihr auseinandersetzen.“
Jaron Lanier, Virtual-Reality-Pionier.
Förderer
Transparenz in digitaler Gesellschaft
Transparence ist ein Stück über Transparenz in unserer digitalen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der – mit Blick auf leicht verfügbare Information – Vertrauen als soziale Praxis obsolet wird und der Kontrolle weicht. So hat die Transparenzgesellschaft eine strukturelle Nähe zur Überwachungsgesellschaft.
Kausale Korrelationen und Big Data
Das Verstehen menschlicher Bedürfnisse relativiert sich für diejenigen, die Macht über Daten besitzen. Wer Big Data versteht, der versteht Verhaltensmuster und soziale Phänomene, bevor das Individuum diese überhaupt erahnen kann. Korrelation ersetzt Kausalität und die Frage nach dem Wieso erübrigt sich angesichts des Es-ist-so.
“Google Glass totalisiert die Jägeroptik, die alles ausblendet, was keine Beute, das heißt, keine Information verspricht. Das tiefere Glück der Wahrnehmung, des Sehens, aber besteht in deren Effizienzlosigkeit. Es entspringt dem langen Blick, der bei den Dingen verweilt, ohne sie auszubeuten.”
Byung-Chul Han, Im Schwarm
Pablo Garretón
Pablo Garretón ist ein Komponist mit einem breiten Interessenspektrum, das von Kammermusik mit Live-Elektronik über Multimedia und Performance bis hin zur Klangkunst reicht. In all diesen verschiedenen Formaten arbeitet er mit seiner persönlichen Liebe zum Detail, wobei er den Klang im Zusammenhang mit unserer Gesellschaft und der Umwelt hervorhebt.
Sein Interesse an kritischen Perspektiven auf neue Technologien hat Werke wie die transmediale Videoinstallation „Re-cognize me 2.0“ hervorgebracht, die ein Gesichtserkennungssystem in Kombination mit Tanz und Live-Video verwendet.
Im Jahr 2019 nahm er mit einem sechsmonatigen Stipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen an einem Residenzprogramm in Paris an der Cité International des Arts teil. Während dieser Zeit besuchte er auch Workshops für elektronische Musik am IRCAM.
Textgrundlage: Im Schwarm – Ansichten des Digitalen
„Im Schwarm“ ist ein Buch des südkoreanischen Philosophen Byung-Chul Han, das sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung und der Technologie auf die Gesellschaft und die menschliche Psyche beschäftigt. Han beschreibt die negativen Auswirkungen von Informationstechnologie und sozialen Medien auf die Individuen und die Gesellschaft, insbesondere den rasanten Anstieg von Isolation und Überforderung. Das Buch fordert zum Nachdenken darüber auf, wie wir uns in einer digitalen Welt verhalten und wie wir uns gegen deren negative Auswirkungen wehren können.
„Vertrauen ist ein Glaubensakt, der obsolet wird angesichts leicht verfügbarer Information. Die Informationsgesellschaft diskreditiert jeden Glauben.“
Byung-Chul Han, Im Schwarm
Libretto und ChatGPT
ChatGPT ist ein KI-Sprachmodell, das von OpenAI trainiert wurde. Es nutzt eine Technologie namens „Transformer“ und kann Aufgaben wie Textgenerierung, Textzusammenfassung und Frage-Antwort-Systeme ausführen. Es ist in der Lage, natürliche Sprache zu verstehen und zu generieren, was es zu einem Werkzeug in Anwendungen wie Chatbots, virtuellen Assistenten und mehr macht. ChatGPT kann Gedichte verfassen und nach bestimmten Vorgaben formulieren. Entsprechend ist das Libretto entstanden.
Paul Pape
Paul Pape arbeitet und lebt in Offenbach am Main. Er studiert an der HfG Offenbach am Main – Hochschule für Gestaltung und Kunst – in der Klasse für Fotografie bei Prof. Martin Liebscher und in der Klasse für Grafikdesign bei Prof. Sascha Lobe und Prof. Klaus Hesse.
Paul ist Mitglied im Atelier Wäscherei in Offenbach am Main. Für Transparence hat er das Bühnenbild – die transparenten Leinwände – mitentwickelt und gebaut.
Making of…
Transparence entsteht seit der Vergabe des Kompositionsauftrages an Pablo Garretón Anfang 2022. Das Stück ist musikalisch und visuell voller Herausforderungen und erfordert eine gut durchdachte Raumplanung. Besondere Schwierigkeit war hier ein visuell anspruchsvolles Musiktheater zu konzipieren, das aber gleichzeitig flexibel genug ist, um es nach der Uraufführung weiter spielen zu können. So entstand die Idee, mobile Screens aus Opera-Folien zu entwickeln.
…Opera-Folien
Die Opera-Folien sind im 9:16 Smartphone-Format gestaltet und sollen so an die digitalen Projekte der vergangenen zwei Jahre erinnern.
Wahrnehmung, Bewusstsein und simulierte Wirklichkeit
TRANSFLEISCH greift wissenschaftliche Erkenntnisse und philosophische Diskurse zum Thema Wahrnehmung und Bewusstsein auf und übersetzt sie in eine zeitgenössische Ästhetik. Ausgangspunkt des Textes von Rosi Ulrich ist Thomas Metzingers Theorie, „die besagt, dass der Inhalt des Bewusstseins der Inhalt einer simulierten Wirklichkeit in unserem Gehirn ist und dass das Gefühl des Daseins selbst ein Teil dieser Simulation ist.“ (aus: Der Ego-Tunnel).
Jede Theorie, die einen Fortschritt darstellt, wird anfänglich kontraintuitiv sein müssen.
Daniel C. Dennet, The Intentional Stance (1978)
Grenzen von akustischer und visueller Wahrnehmung
Die Musiktheater-Performance TRANSFLEISCH experimentiert an den Grenzen der akustischen und visuellen Wahrnehmung. Wie funktionieren Bewusstsein und die Erfahrung von Realität? Ergeben sich durch die veränderten Lebenswelten, wie die virtuellen Welten, neue Narrationsformen? Beeinflussen neuere Theorien über das Bewusstsein als Simulation von Realität unsere Wahrnehmung? In TRANSFLEISCH treffen Simulation und Realität aufeinander – (wie) lassen sie sich voneinander unterscheiden?
“Die bewusste Erfahrung, ein Subjekt zu sein, entsteht, wenn ein einzelner Organismus lernt, sich selbst zu versklaven..”
Thomas Metzinger, The Ego Tunnel: The Science of the Mind and the Myth of the Self
TRANSFLEISCH 2013, 2019 und 2021
TRANSFLEISCH wurde 2013 von Sergej Maingardt (Komposition) und Rosi Ulrich (Text) als rein elektronisches Stück für Schauspieler konzipiert. 2019 konnte electronic ID einen Kompositionsauftrag vergeben, in dessen Rahmen ein Auszug des Werks für verstärktes Ensemble, Video und Schauspieler entstand.
Abendfüllendes Musiktheater
An den Erfolg des Experiments von 2019 anknüpfend, vergab electronic ID in 2021 – nicht zuletzt dank der großzügigen Unterstützung der Kunststiftung NRW – einen Kompositionsauftrag an Sergej Maingardt, der die Entstehung des abendfüllenden Musiktheaters TRANSFLEISCH für Ensemble ermöglichte. Das Stück erlebte seine Radiopremiere im Rahmen des “Forum neuer Musik 2021” im Deutschlandfunk.
Sergej Maingardt
*1981, Kasachstan. Hineingeboren in die Ära der Digitalisierung versteht er Musik als wichtige Zeitkunst, um die rasante globale Veränderung der Welt zu reflektieren. Seine Arbeit als Komponist wird von modernen Technologien beeinflusst, sowie von der Art und Weise wie diese die menschliche Wahrnehmung verändern – was er wiederum künstlerisch multimedial reflektiert. Maingardt studierte elektronische Komposition in Köln sowie Medien und Kulturanalyse in Düsseldorf.
Rosi Ulrich
Als Dramaturgin und Autorin für Theater und Hörspiel interessiert sie vor allem die gegenwärtige Gesellschaft in ihren Transformationsprozessen. Sie entwickelt Konzepte und Thateradaptionen für ortsspezifische und dokumentarische Stücke. 1996–2000 war sie Co-Leiterin des Trash Theaters in Köln. 2001 gründete sie das theater-51grad, das 2019 mit Andrea Bleikamp und dem wehrtheater zum WEHR51 fusionierte.
Termine
23.10.2022 – UA TRANSFLEISCH im Forum Leverkusen
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9.12.2022 – TRANSFLEISCH im Filmforum NRW Köln
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